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Bei Patientinnen und Patienten mit neuroendokrinen Tumoren des Blinddarm-Wurmfortsatzes und einem Risiko für Lymphknotenmetastasen wird standardmässig die rechte Hälfte des Dickdarms entfernt. Nun zeigt eine internationale Studie unter der Leitung des Inselspitals, Universitätsspital Bern, und der Universität Bern, dass dieser belastende Eingriff unverhältnismässig ist. Die Ergebnisse wurden in der jüngsten Ausgabe des Fachmagazins «The Lancet Oncology» publiziert.
Neuroendokrine Tumore sind eine seltene Gruppe von Tumorerkrankungen, die sich aus hormonbildenden Zellen entwickeln und häufig selbst Hormone produzieren. Die Tumore können nahezu überall im Körper auftreten, auch im Wurmfortsatz des Blinddarms, der sogenannten Appendix. Dort werden sie meist beiläufig im Rahmen einer Blinddarmoperation entdeckt.
Zur Therapie neuroendokriner Tumore der Appendix stehen Leitlinien der Europäischen Gesellschaft für Neuroendokrine Tumore (ENETS) zur Verfügung. Die in diesen Leitlinien empfohlenen Behandlungen hängen im Wesentlichen von der Grösse des Tumors ab. Ist dieser kleiner als ein Zentimeter, rät ENETS zu einer einfachen Entfernung des Wurmfortsatzes. Bei Tumoren, die grösser als zwei Zentimeter sind, wird die Entfernung der rechten Hälfte des Dickdarms empfohlen. Dieser Eingriff wird in Fachkreisen als rechtsseitige Hemikolektomie bezeichnet und ist für die Betroffenen mit Gesundheitsrisiken und einer Beeinträchtigung der Lebensqualität verbunden.
Notwendigkeit der Standardoperation seit längerem angezweifelt
Gemäss ENETS-Leitlinien ist eine rechtsseitige Hemikolektomie ebenfalls angebracht, wenn die Tumore der Appendix zwischen einem und zwei Zentimeter gross sind und gleichzeitig mikroskopische Veränderungen beobachtet werden, die auf Lymphknotenmetastasen schliessen lassen. Aufgrund verschiedener Studien wird die Notwendigkeit dieser belastenden Operation zwar zunehmend infrage gestellt. Die Qualität und Aussagekraft der Untersuchungen genügten aber bisher nicht, um eine Anpassung der ENETS Leitlinien wissenschaftlich zu untermauern.
Nun liefert eine grossangelegte multizentrische Studie unter der Leitung des Inselspitals, Universitätsspital Bern, und der Universität Bern erstmals konkrete Belege, dass eine rechtsseitige Hemikolektomie bei einem ein bis zwei Zentimeter grossen neuroendokrinen Tumor nicht gerechtfertigt ist, wenn dieser bei der Entfernung des Wurmfortsatzes vollständig beseitigt werden konnte. In solchen Fällen übersteigt das Risiko der Operation den potenziellen Nutzen deutlich.
An der Studie beteiligten sich 40 Krankenhäuser aus 15 europäischen Ländern. Die Forschenden analysierten die Daten und Gewebeproben von 278 Patientinnen und Patienten, bei denen zwischen 2000 und 2010 ein neuroendokriner Tumor des Wurmfortsatzes entfernt wurde. Bei rund 60 Prozent der Betroffenen wurde nur der Wurmfortsatz wegoperiert, die anderen 40 Prozent wurden zusätzlich mit einer rechtsseitigen Hemikolektomie behandelt. Obwohl Gewebeproben darauf schliessen liessen, dass bei 12.8 Prozent der Patientinnen und Patienten, bei denen nur die Appendix entfernt wurde, ein paar Lymphknotenmetastasen verblieben, war die Überlebensrate bei beiden Gruppen über einen mittleren Beobachtungszeitraum von 13 Jahren vergleichbar. Es wurden weder neue Metastasen beobachtet, noch gab es tumorbedingte Todesfälle.
Unnötiges Leid verhindern
«Mit unserer Studie stehen erstmals repräsentative Daten zur Behandlung neuroendokriner Tumore der Appendix mit einer Grösse von einem bis zwei Zentimetern zur Verfügung», erklärt der Studienleiter PD Dr. med. Reto Kaderli, leitender Arzt an der Universitätsklinik für Viszerale Chirurgie und Medizin am Inselspital. «Unsere Ergebnisse weisen deutlich darauf hin, dass Lymphknotenmetastasen bei solchen Tumoren ungefährlich sind und eine rechtsseitige Hemikolektomie nicht notwendig ist, wenn der Tumor bereits durch die Entfernung des Wurmfortsatzes beseitigt werden konnte. Damit konnte eine bisher gültige Lehrmeinung zu den Folgen von Lymphknotenmetastasen bei neuroendokrinen Tumoren widerlegt werden.».
Der Forscher ist überzeugt, dass diese Erkenntnisse bereits dieses Jahr in die international anerkannten Leitlinien zur Behandlung neuroendokriner Tumore einfliessen und sich auf Tumorklassifikationen auswirken werden. Folglich werden bedeutend weniger der typischerweise jungen Betroffenen die rechte Hälfte ihres Dickdarms und damit gleichzeitig einen Teil ihrer Lebensqualität grundlos verlieren.
Die Studie wurde von der Europäischen Gesellschaft für Neuroendokrine Tumore (ENETS) und der Krebsforschung Schweiz unterstützt.
Projektteam
Neuroendokrine Tumore
Bei den neuroendokrinen Tumoren besteht eine laufende Debatte zum optimalen therapeutischen Approach. Es gibt zwar verschiedene Guidelines hierzu, u.a. von der "European Neuroendocrine Tumor Society" (ENETS) oder der "North American Neuroendocrine Tumor Society" (NANETS), die jedoch nicht auf einem systematischen Literaturreview basieren.
Zusammen mit Nuklearmedizinern, Endokrinologen, Onkologen und klinischen Epidemiologen untersuchten wir daher die Effizienz und Sicherheit der Behandlung von neuroendokrinen Tumoren mit einer Netzwerk-Metaanalyse, um eine evidenzbasierte Hierarchie der verschiedenen therapeutischen Modalitäten erstellen zu können. Dabei fanden wir einen Vorteil von Kombinations- gegenüber Monotherapien.10 Zudem zeigten wir auf, dass weniger als die Hälfte der randomisiert kontrollierten Studien zur Therapie von neuroendokrinen Tumoren in den aktuellen Guidelines enthalten sind und konnten daher mit unserer Arbeit die Grundlage für eine Adaptation der aktuellen internationalen Guidelines und für künftige Studien schaffen.
Im Rahmen einer interdisziplinären, multizentrischen Kollaborationsarbeit konnten wir einen wesentlichen Beitrag zur Verbesserung der Lokalisationsdiagnostik von Insulinomen beitragen.2-7,9
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